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Von Studierenden für Studierende: Grundlagentutorium – Unterstützung & Empowerment

Tamara Hezel

Kim Bastiaanse, Tamara Hezel

Einleitung

Die Idee zu unserem Projekt entstand aus einem Gespräch mit einer Studentin des 3. Semesters. Aufgrund von Wissenslücken und Unsicherheiten hatte sie überlegt, ihr Studium abzubrechen. Wir fühlten uns direkt in unsere ersten Semester im Studiengang Mobile Medien zurückversetzt und überlegten, was uns damals geholfen hätte.

Daraus entstand unsere Idee, einen fächerübergreifenden Einstieg in die Informatik in Form eines Tutoriums anzubieten. Ziel dabei war nicht die Verbesserung oder Vertiefung einer bestimmten Vorlesung, sondern vielmehr die Verdeutlichung von Zusammenhängen zwischen den Themen sowie die Erklärung grundlegender Buzzwords. Die Vorlesungen sollten in einen größeren Kontext eingebettet, deren praktische Relevanz aufgezeigt und aufkommende Fragen der Studierenden geklärt werden.

Neben der rein fachlichen Kompetenz war es uns ein besonderes Anliegen, den Studierenden die Welt der Informatik auf eine ansprechende und motivierende Art näherzubringen. Wir wollten die vielfältigen Möglichkeiten und Facetten dieses spannenden Feldes aufzeigen und dabei helfen, eventuelle Ängste oder Vorbehalte abzubauen. Auch dem von Professor Walter Kriha beobachteten “Rückzugseffekt”, der durch negative Gefühle der Studierenden entsteht, wollten wir entgegenwirken.

Neben dem Tutorium boten wir den Teilnehmerinnen eine offene Sprechstunde an, in der auch nicht-fachliche Themen besprochen werden konnten.

Unser Angebot richtete sich an “Informatik-Anfänger” des 1., 2. und 3. Semester Mobile Medien (MM) und Medieninformatik (MI).

Problemstellung

Fragen zu stellen, sich freudig Neuem zu öffnen und auch mal ein Scheitern zu akzeptieren sind Eigenschaften, die nicht nur im Rahmen des Studiums wertvoll sind. Besonders in Bezug auf Softwareentwicklung und Informatik verlieren viele Studierende in den ersten Semestern schnell den Mut. Überforderung und Frustration, gepaart mit Ängsten, hindert eine bestimmte Gruppe daran, selbstbewusst in die Informatik einzusteigen. Die Unsicherheit wächst, Fragen bleiben ungestellt und die Hürde, vermeintlich einfache Dinge in der Vorlesung zu erfragen, steigt von Woche zu Woche. Besonders für Studienanfänger:innen ohne Vorwissen im Bereich der Informatik sind viele, vermeintlich einfache, Begriffe unbekannt und Zusammenhänge zwischen den Vorlesungsinhalten unklar.

Für genau diese Gruppe an Studierenden gibt es bisher kein passendes Angebot. Auch wenn vertiefende Tutorien und Übungen bereits einen wichtigen Beitrag leisten, gibt es aktuell keine Veranstaltung, die grundlegende Wissenslücken und Zusammenhänge abdeckt und Buzzwords themenübergreifend erklärt. Die Unterstützung von Studierenden diesbezüglich halten wir jedoch für sehr relevant und wegweisend für die akademische sowie berufliche Zukunft.

Unser Ziel war es daher, mit diesem Projekt einen sicheren Rahmen für Studierenden zu schaffen, in dem sie frei von Scham, Ängsten und Zurückhaltung handeln, ihre grundlegenden Wissenslücken schließen und damit zu Kommilitonen mit Vorwissen aufschließen können. Dabei ist es uns wichtig, den Studierenden zu zeigen, dass sie nicht alleine mit ihren Zweifeln und Unsicherheiten sind und ihr Selbstbewusstsein zu stärken.

Forschungsfrage und Hypothesen

Wie kann man Studierende motivieren, ihre Fragen offen und ehrlich zu stellen und ihre Unklarheiten anzusprechen? Wie kann man einen sicheren Rahmen schaffen und Inhalte so vermitteln, damit sie nachhaltig verstanden werden? Und welche spezifischen Themen müssen behandelt werden, um diese Wissenslücken zu schließen? Diese Fragen haben wir uns zu Beginn des Projekts gestellt und versucht mithilfe von theoretischer Recherche, qualitativen sowie quantitativen Methoden zu beantworten. Die Forschungsfrage: “Gibt es das Problem von einschränkenden, grundlegenden Wissenslücken bei Studierenden und wie könnte eine Unterstützung für betroffene Personen aussehen?”, spielte dabei jederzeit eine zentrale Rolle und deren Beantwortung floss direkt in die konkrete Umsetzung des Tutoriums ein. Um sich schrittweise den Antworten zu nähern, wurden verschiedene Hypothesen aufgestellt, die in zwei Phasen belegt oder widerlegt werden sollten. 

Es ergaben sich konkret folgende Hypothesen H1 – H4, die sich auf den aktuellen Wissensstand und die Situation der Studierenden im Studium beziehen. Sie werden im Umfang der ersten Studien überprüft. Dabei soll grundsätzlich herausgefunden werden, ob das Angebot eines Grundlagentutoriums von den Studierenden als notwendig und hilfreich empfunden wird, welche Thematiken in dessen Rahmen behandelt werden sollen als auch wie eine solche Umsetzung explizit aussehen könnte.

H1: Es wird erwartet, dass es grundlegende Wissenslücken bei Studierenden bzgl. den Grundlagen der Informatik gibt.

H2: Studierende, die ohne Vorwissen ins Studium gestartet sind, haben grundlegende Wissenslücken.

H3: Studierende fühlen sich durch ihre Wissenslücken abgehängt und haben negative Gefühle (z.B. Angst, Stress, Rückzug etc.).

H4: Es wird erwartet, dass ein zusätzliches Angebot von Studierenden, mit ähnlichen Erfahrungen, in Form eines Tutoriums als hilfreich eingestuft wird (und Personen teilnehmen würden).

Zur Validierung des Nutzens und der Reflektion des Grundlagentutoriums nach der Durchführung wurden die nachfolgenden Hypothesen H5 – H8 aufgestellt: 

H5: Studierende, die am Tutorium teilgenommen haben, fühlen sich sicherer mit den Buzzwords und den Zusammenhängen der Informatik.

H6: Studierende, die das Tutorium besucht haben, fühlen sich vom Kenntnisstand aufgeholt in Bezug zu den anderen Studierenden in ihrem Semester.

H7: Durch das Grundlagentutorium konnten grundlegende Wissenslücken für Studierende, die das Tutorium besucht haben, geschlossen werden.

H8: Es macht für die Studierenden einen Unterschied, ob solch ein Tutorium von Studierenden angeboten wird, die mit ihrer Lebensrealität näher an den Studienanfänger:innen sind oder von Dozenten mit viel Erfahrung.

Diese Hypothesen werden im zweiten Forschungsteil, nach der Durchführung durch eine Umfrage und persönliche Rückmeldungen der Studierenden validiert und dienen als Grundlage für Verbesserungen und für die Entscheidung zur Fortführung des Angebots.

Herausforderungen

Um einen möglichst hohen Lerneffekt bei den Studierenden zu erreichen, war es wichtig sich tiefgehende Gedanken zu folgenden Fragen zu machen:

–       Wie schafft man einen sicheren Raum?

–       Wie bekommt man die Studierenden dazu Fragen zu stellen?

In den nachfolgenden Teilen werden diese Fragen aufgegriffen und unsere Lösungsansätze dazu vorgestellt.

Vorgehen

Um zu erfahren, ob unsere Idee von den Studierenden als notwendig erachtet wird, haben wir eine quantitative Studie mit 96 Studierenden des 1. – 3. Semesters der Studiengänge MMB und MI durchgeführt. Parallel dazu befragten wir Personen aus derselben Personengruppe in Form von Fokusgruppen und Interviews, um qualitative Ergebnisse zu sammeln. Darüber hinaus haben wir durch Experteninterviews die Meinungen von Prof. Walter Kriha, Dr. Tobias Jordine und Benjamin Binder einbezogen.

Mit den ausgewerteten Studienergebnissen konnten die Thementage konzipiert und das Tutorium geplant werden. Die ausgewählten Themen wurden aufbereitet und Skripte, Checkerfragen und Präsentationen zu den Inhalten erstellt. 

Während der Durchführungsphase wurden Tutorien zu den verschiedenen Themen abgehalten. Insgesamt wurden 12 Plätze an Studierende aus dem 1. – 3. Semester vergeben. Die Konzeptions- und Durchführungsphase wurden dabei häufig parallel bearbeitet.

Die zweite Recherchephase beinhaltet erneute qualitative und quantitative Umfragen nach Abschluss des Tutoriums. Dabei wurden die teilnehmenden Studierenden zur Durchführung befragt und Verbesserungsvorschläge sowie Ideen gesammelt.

Theorie

Wenn man googelt, wie man Informatik lernt, ist die komplette erste Seite von Google voll damit, wie man programmieren lernt. Dabei steckt in der Informatik noch viel mehr:

Es geht darum, Probleme zu analysieren, Sachverhalte zu verstehen und effektive Lösungen zu finden. Die Informatik ist ein sehr breites und multidisziplinäres Feld, das sich mit vielen verschiedenen Aspekten der Technologie und des menschlichen Lebens befasst. Es ist wichtig, ein umfassendes Verständnis für die Konzepte und Grundprinzipien der Informatik zu entwickeln, um erfolgreich in diesem Bereich zu sein.

In der Literatur finden sich viele Ansätze zum Lernen von Informatik. So beschreibt Schwill die Brunerschen Prinzipien [1]. Das erste Prinzip, das genannt wird, ist die Fortsetzbarkeit. So sollte bereits bei der Auswahl des zu behandelnden Themas darauf geachtet werden, dass ein späterer Niveau-Ausbau möglich ist. Bei der Behandlung der Themen sollte zudem stets bedacht werden, dass keine Halbwahrheiten vermittelt werden, die ein Umdenken der Lernenden zu einem späteren Zeitpunktes benötigen [1]. Für unser Grundlagentutorium haben wir unsere Themen zwar selbst gewählt – diese sind jedoch eng mit den Vorlesungen, die angeboten werden, verknüpft. Dabei sind die Einzelthemen so konzipiert, dass auf die Fortsetzbarkeit geachtet wurde. Für unser Tutorium war es außerdem relevant, dass wir uns selbst so gut vorbereiten, dass wir keine Halbwahrheiten erzählen. Bei Unwissenheit sollte diese transparent gemacht und fehlendes Wissen zusammen mit den Studierenden nachrecherchiert werden.

Als zweites Prinzip führt er die Präfiguration von Begriffen auf. Damit ist gemeint, dass Bilder und Handlungen verwendet werden sollen, um Begriffe und Konzepte zu veranschaulichen und verständlich zu erklären. Anstatt die Syntax einer Programmiersprache oder ihrer Elemente direkt zu erklären, ist es besser, sie zunächst einfach praktisch anzuwenden – beispielsweise durch die Verwendung von Pseudocode [1]. Auch wir wollten viel mit Metaphern und Analogien arbeiten. Ein Beispiel dafür ist die Vorstellung des abstrakten Begriffes eines Servers als eine Art Raum: Es gibt Türen, die zum Frontend und zur Datenbank führen. Andere Türen dienen als Schnittstelle, um das Prinzip von APIs zu erklären. Für manche Türen ist eine Authentifizierung durch einen Token oder Passwort notwendig, um sie zu öffnen, Andere sind gar nicht “betretbar”.

Final kommt Schwill noch auf das Prinzip des vorwegnehmenden Lernens zu sprechen. Damit ist gemeint, dass es besser sei, ein Wissensgebiet schon auf früheren Stufen in einfacher Form zu behandeln, anstatt auf eine endgültige und abschließende Behandlung zu warten [1]. Da wir in unserem Tutorium Studierende des 1. bis 3. Semesters betreuen wollen, ist es unumgänglich, dass manche Studierende mit Teilen in Kontakt kommen, die sie noch nicht gehört haben oder noch nicht gänzlich verstehen. Dabei war es uns wichtig, die Studierenden auf einer hohen Flugebene abzuholen und ihnen die groben Konzepte zu verdeutlichen. Das komplette Verständnis kann dann nachfolgend in den vertiefenden Vorlesungen erfolgen. Dieser Ansatz hilft Ängste vor zu vielen Details, Starre vor Überforderung und die Flucht in das Konkrete vorzubeugen.

Da wir die Vermutung haben, dass die Studierenden, die unser Angebot besuchen, vor allem mit Ängsten und Selbstzweifeln zu kämpfen haben, haben wir uns auch mit Literatur zum Thema Leistungsdruck und Lernen beschäftigt. Schwarzbauer et al. [2] bestätigt, was wir auch schon selbst erlebt haben: Gelernt wird für den Erfolg in der Prüfung. Der eigene Fokus geht weg vom Interesse am Thema und die damit einhergehende intrinsische Motivation, sich mit diesem zu beschäftigen, und wandelt sich hin zu einer vorwiegend extrinsischen Motivation. Durch den Wunsch nach guten Noten verlieren betroffene Studierende häufig den Blick auf das große Ganze sowie dessen praktische Relevanz und vermeiden es Risiken einzugehen. Mögliche negative Gefühle, die durch die Verknüpfung mit Leistung entstanden sind, übertragen sich auf das Thema selbst. Es wird das fälschliche Gefühl geweckt, dass der Misserfolg im Rahmen des Studiums sich nur auf die eigenen Werte und Kenntnisse zurückführen lässt, was jeglichen neuen Mut und Selbstbewusstsein sowie Wachstum und Möglichkeiten in der Berufswelt vermeintlich versperrt.

Schwarzbauer führt zudem auf, dass der Lernerfolg stark unter Ängsten leidet. Gelerntes gerät schneller in Vergessenheit, die Angst verfestigt sich und wird immer wieder abgerufen. Diese Tatsache bestärkt das oben beschriebene Gefühl von Misserfolg und hält diese Studierende auf, sich an Neues zu wagen und selbstbewusst für sich und ihre Kenntnisse einzustehen. Die entstandene Verknüpfung von Leistungsdruck, Angst und Informatik ist schwer zu reflektieren und eigenständig aufzubrechen.

Leistungsabfragen müssen jedoch nicht immer negativ sein. Als positive Methoden werden in der Literatur beispielsweise kontinuierliches Feedback und Lerntipps aufgeführt [2]. Für uns war daher klar, dass unser Checkerfragen-Ansatz ein wichtiger Baustein für das Grundlagentutorium ist. Um den Studierenden kontinuierliches Feedback zu geben, gab es zu wenige Kontaktpunkte. Sie nach jeder Stunde allerdings noch einmal über Gehörtes reflektieren zu lassen und ihnen den Freiraum zu geben, noch einmal nachzuhaken, war für uns einfach realisierbar. Zusätzliche Lernangebote, wie Links zum Selbststudium, gute Quellen und Webseiten zur Verfügung zu stellen, war uns ebenso wichtig.

Ein weiterer Aspekt, den wir beleuchten möchten, ist die Wichtigkeit des Fragenstellens im Lernprozess. Im ersten Teil ihres Buch “Lernen durch Fragen” geht die Autorin Levin auf diese Thematik ein [3]. So können sich die Studierenden durch das aktive Nachdenken über den Lernstoff und den Prozess des Formulierens einer Frage tiefer mit dem Stoff auseinandersetzen. Dabei steht das Gespräch zwischen dem Lehrenden und der lernenden Person im Vordergrund. Die Aufgabe eines Lehrers besteht grundsätzlich darin, ein kindliches Interesse zu wecken. Dieses Interesse führt im Optimalfall dann automatisch zum Bedürfnis des Fragenstellens. Der Wunsch, mehr darüber erfahren zu wollen, führt zu aktivem Nachfragen, um eine gefühlte Erkenntnislücke zu schließen. Zudem führt Levin auf, dass Fragen Wissen bei der Person voraussetzt, die sie stellt. Demnach ist es nur möglich Fragen zu stellen, wenn bereits ein gewisser Kenntnisstand vorhanden ist. Für das Stellen von allgemeinen Fragen wird allgemeines Wissen benötigt. Wenn man spezifische Fragen stellen möchte, die auch die Antwortmöglichkeiten begrenzen, braucht man bereits ein tieferes Verständnis des Kontexts [3].

Ein ehrliches Interesse bei den Studierenden zu wecken, ist sicher nicht immer möglich. Die Wichtigkeit dessen, um Mitarbeit durch Fragen zu erreichen, sollte jedoch nicht unterschätzt und demnach nicht im Unterrichtsgeschehen vernachlässigt werden. Auch sind Missverständnisse bezüglich der Fragestellung und der damit unzufriedenstellenden Beantwortung auf die Tatsache des individuellen Kenntnisstandes zurückzuführen. So kann auch erklärt werden, warum die Wahrscheinlichkeit für Misskommunikation zwischen Personen mit sehr unterschiedlichen Kenntnisständen (z.B. Erstsemesterstudierende:r und Professor) häufig höher ist, als bei Personen mit ähnlichem Wissen. Tutorien von Studierenden für Studierende sind folglich ein wichtiger, zusätzlicher Baustein im Studium.

Frauen in der Informatik sind noch in der Unterzahl – das sagen nicht nur die Statistiken. Es reicht ein Blick in die Seminar- und Vorlesungsräume unserer Informatikstudiengänge an der HdM. Mit dem Ruf “Hochschule der Mädchen” ist der Anteil der “Informatik-Mädels” schon allgemein höher als an manchen anderen Universitäten – Frauen sind aber noch immer unterrepräsentiert. Aber an was könnte es liegen? Auch wenn diese Tatsache sicher sehr vielschichtige Gründe hat, bemerkt Schinzel et al [4], dass Männer sehr früh in ihrer Entwicklung in Kontakt mit Computern und Informatik kommen. Frauen hingegen haben diese Kontaktpunkte oft erst am Ende oder nach der Schulausbildung. Sie berichtet außerdem von Tutorien, die speziell für Frauen angeboten werden. Dabei war interessant, dass diese total unterschiedlich von den Frauen bewertet werden. Die allgemeine Beurteilung solcher Veranstaltungen (ohne Teilnahme) war eher negativ, da die Frauen eine Abwertung ihrer Fähigkeiten fürchten. Die Frauen, die allerdings teilgenommen hatten, haben es als Zugewinn erfahren [4]. In der von Schinzel et al angeführten Studie zeigen Studentinnen offenbar ein geringeres Selbstbewusstsein bei ihrem Studium, insbesondere in den Bereichen Programmierung, Computerwissen und Software, wie aus der Befragung hervorgeht. Im Vergleich zu den männlichen Studierenden empfinden mehr Studentinnen trotz guter Leistungen das Gefühl, fachlich den anderen Studierenden unterlegen zu sein [4].

Für uns war es wichtig, ein Tutorium für alle offen anzubieten und keine Einschränkung aufgrund des Geschlechts zu machen. Wir sind gespannt, wie sich die Verteilung von männlichen und weiblichen Teilnehmer:innen bei Fortführung des Projekts verhält.

Recherche

Studie 1: Quantitative Umfrage

Zu Beginn des Semesters führten wir eine quantitative Umfrage mit 94 Studierenden aus den ersten drei Semestern Mobile Medien und Medieninformatik durch. Davon gehören 34 Personen dem Studiengangs Mobile Medien (MM) an, 60 sind im Studiengang Medieninformatik (MI) eingeschrieben.

Eine Frage in unserer Umfrage zielte darauf ab, herauszufinden, ob die Studierenden sich von ihrem Wissensstand her gegenüber ihren Mitstudierenden hinterher, auf Augenhöhe oder überlegen fühlen. Etwas mehr als zwei Drittel der Studierenden von MM gaben an (Abb. 1), mit ihrem Wissensstand hinterher oder weit hinterher zu sein. Beim Studiengang MI waren es 41% (Abb. 2). Insgesamt gaben 48 der 94 Studierenden an, hinterher oder weit hinterher zu sein. Dadurch kann unsere erste Hypothese H1 bestätigt werden. Mögliche Gründe für die Unterschiede zwischen MM und MI können nicht sicher genannt werden. Denkbar ist jedoch die technischere Ausrichtung des MI-Studiengangs und damit die Einschreibung von Personen mit mehr technischen Vorwissen als bei MM.

Abb. 1: MMB + Wissensstand
Abb. 2: MI + Wissensstand

Des Weiteren wollten wir herausfinden, wie viele der Personen ohne Vorwissen in ihr Studium gestartet sind und sich zur Zeit der Befragung fühlen, als hätten sie grundlegende Wissenslücken. Die Ergebnisse sind in Abbildung 3 zu sehen. Dabei gab knapp ⅓ aller befragten Personen an grundlegende Wissenslücken zu haben. 46% der Teilnehmenden, die ohne Vorwissen ins Studium gestartet sind, fühlen sich, als hätten sie grundlegende Wissenslücken. Nur 12% der Personen ohne Vorwissen geben an, keine Wissenslücken zu haben. Die restlichen 42% geben an, teilweise Wissenslücken zu haben. Somit gilt die zweite Hypothese ebenfalls als validiert, womit eine Verbindung zwischen fehlendem Vorwissen und grundlegenden Wissenslücken im Rahmen der durchgeführten Studie hergestellt werden kann.

Abb. 3: Person hat kein Vorwissen + hat grundlegende Wissenslücken

Außerdem wurden negative Gefühle und Reaktionen bzw. Ängste ermittelt, die aufgrund von grundlegenden Wissenslücken bei den Studierenden ausgelöst wurden. 36,2 % der befragten Studierenden haben das Gefühl, dass ihre Schwachstellen sie zurückhalten. Weitere 33% haben Angst vor schlechten Noten oder den Abschluss nicht zu schaffen. 29,8% haben das Gefühl, nicht mehr “aufholen” und damit mithalten zu können, und 25,5% der befragten Studierenden konzentrieren sich nur auf ihre Stärken (Comfort-Zone). Knapp 11% überlegen sich sogar, den Studiengang zu wechseln oder das Studium abzubrechen. Insgesamt traf die Frage auf nur 26,6% der Befragten gar nicht zu. Hypothese H3 wurde damit ebenfalls bestätigt.

Abschließend galt es herauszufinden, ob ein Hilfsangebot, wie wir es planten, angenommen werden und Personen daran teilnehmen würden. Dabei gaben 36,2 % der befragten Personen an, sehr gerne an einem solchen zusätzlichen Angebot teilzunehmen. 46,8 % der befragten Personen würden an dem Angebot vielleicht (weiß nicht/kommt darauf an) teilnehmen. Damit konnte auch eine Verifizierung der dritten Hypothese H4 erfolgen.

Studie 2: Qualitative Studie – Fokusgruppe

Zusätzlich zur quantitativen Studie wollten wir durch eine qualitative Umfrage noch detailliertere Erkenntnisse erlangen, die sich auf die konkrete Ausgestaltung des Grundlagentutoriums beziehen. Dazu haben wir uns in Form einer zweistündigen Fokusgruppe und eines einstündigen Interviews mit betroffenen Studierenden intensiv ausgetauscht. Ziel war es herauszufinden, welche Erlebnisse und Gefühle sie im Studium erlebt hatten, welche Themen(bereiche) im Tutorium bearbeitet werden sollen sowie Einzelheiten und Wünsche zur konkreten Umsetzung des Angebots. Uns war es wichtig, das Tutorium an die Bedürfnisse und Wünsche dieser Gruppe anzupassen und sie aktiv mit einzubeziehen.

An der Fokusgruppe hatten zwei Studierende teilgenommen, an dem Interview eine weitere Studentin. Dazu besuchten wir Vorlesungen der ersten drei Semester und riefen betroffene Studierenden zum Austausch auf. Zur Dokumentation und Interaktion wurde ein Miro-Board erstellt und im Laufe der Fokusgruppe und des Interviews gefüllt. Das gesamte Board inklusive aller Ergebnisse ist in Abbildung 4 zu sehen.

Abb. 4: Gesamtes Miro-Board mit Ergebnissen aus den beiden Fokusgruppen-Umfragen

Im persönlichen Gespräch wurde deutlich, dass die Studierenden von sich sagen, dass sie grundlegende Wissenslücken haben. Die Studierenden, mit denen wir gesprochen haben, sind ohne Vorwissen in ihr Studium gestartet. Alle drei Teilnehmerinnen würden sehr gerne an unserem Angebot teilnehmen. Aufgrund des inhaltlichen Feedbacks wurden die Rahmenbedingungen für das Tutorium festgelegt. Durch die qualitative Studie könnten somit H1 – H4 erneut bestätigt werden. Abbildung 5 und 6 zeigen die Ergebnisse im Detail.

Abb. 5: Ergebnisse zum Ablauf im Detail
Abb. 6: Ergebnisse zu den Themen im Detail

Experteninterviews

Neben den oben beschriebenen Umfragen führten wir auch Experteninterviews mit Prof. Walter Kriha, Dr. Tobias Jordine und Benjamin Binder durch, um die Sicht und Erfahrungen von aktiv lehrenden Personen miteinzubeziehen.

Benjamin Binder betonte im Gespräch, dass es eine Gruppe von Studierenden gibt, die von den Lehrenden nicht erreicht werden können und für die es derzeit kein Auffangnetz gibt. Während seiner Vorlesungen ist ihm zudem aufgefallen, dass diese Studierenden selten Fragen stellen. Angesichts dieser Situation sieht er einen deutlichen Bedarf für ein entsprechendes studentisches Angebot.

Tobias Jordine betonte die Bedeutung einer Unterstützung auf Augenhöhe, bei der ein sicherer Raum geschaffen wird, in dem, neben dem thematischen Inhalt, auch Raum für weiterführende Gedanken vorhanden ist. Durch seine Anregungen fühlten wir uns bestärkt, soziale Aspekte und die Vermittlung des richtigen Mindsets in die Gestaltung der Tutorium Inhalte einzubeziehen. Zudem betonte er, dass die Leistung nicht allein anhand von Noten oder dem Endergebnis bewertet werden sollte. Besonders Studienanfänger:innen haben diesbezüglich festgefahrene Muster und Verhaltensweisen, die es ihnen schwer machen, im Studium die übergeordneten Ziele zu sehen und Risiken (z.B. als Anfänger die Programmierung in einem Projekt übernehmen) einzugehen. Sie verstecken sich hinter bekannten Aufgaben und verpassen es, an ungewohnten Aufgaben zu wachsen. Zudem hatte Tobias Jordine Ideen, um einen sicheren Raum zu schaffen: kleine Erfolge feiern und betonen, dass Fehler machen dazu gehört und ganz normal im Lernprozess sind.

Als jahrelanger Professor der Softwareentwicklung kennt Prof. Kriha, die Probleme der Studierenden gut. Ein von ihm häufig beobachtetes Phänomen ist das Festkrallen am Konkreten. Studierende verlieren den Überblick und verlieren sich, besonders am Anfang des Studiums, in Details. Dieser falsche Fokus führe, laut Prof. Kriha, zu Überforderung und Angst. Viel wichtiger sei es zu lernen, abstrahiert zu denken, das übergeordnete Ziel im Blick zu behalten und Zusammenhänge anstatt alle einzelnen Details eines Themas zu verstehen. So schaffe man es auch später, im Berufsalltag effiziente Lösungen zu finden und komplexe Probleme zu lösen.

Insgesamt waren alle befragten Experten von der Idee eines Grundlagentutoriums begeistert und sehen solch ein studentisches Angebot als sehr hilfreich und wertvoll an.

Haupterkenntnisse (Zwischenstand)

Unter Beachtung aller Erkenntnisse aus den verschiedenen Studien und Befragungen haben wir uns auf ein regelmäßiges Angebot während des Semesters festgelegt. In jedem Termin (ca. 1,5h) wird ein Oberthema aus dem Bereich der Informatik und des Studiums behandelt und vorlesungsübergreifend in den Kontext gesetzt. Zudem sollte es Expertentage geben, bei denen von uns ausgewählte Experten auf dem jeweiligen Gebiet einen tieferen Einblick geben und von ihrem Arbeitsalltag erzählen. Praktische Beispiele, Demos, Hands-On-Beispiele und Mindset-Gedanken werden passend eingestreut. Der Fokus liegt auf dem übergeordneten Zusammenhang und Verständnis und nicht auf einzelnen Details.

Die Tutorien finden in einer Gruppe von maximal 12 Personen vor Ort an der HdM statt. Ein hybrides Format sollte weitgehend vermieden werden, um einen persönlichen Raum schaffen zu können. Für das Tutorium wird ein separater Raum mit Bildschirm und Whiteboard von uns reserviert und für Tee und Snacks gesorgt. Am Ende jedes Termins helfen Checkerfragen das Gehörte zu wiederholen und zu dokumentieren. Weiterführende Links zum Eigenstudium werden zur Verfügung gestellt. Die Kommunikation mit den Kursteilnehmerinnen und der Dokumentenaustausch findet zentral über einen eigenen Moodle-Kurs statt. Die Studierenden aus Semester 1 bis 3 werden per E-Mail über das Grundlagentutorium informiert und eingeladen. Sprechstunden werden zusätzlich angeboten.

Konzeption

Nach Auswertung der Studienergebnisse und Festlegung der Themengebiete begann die Konzeption. Es wurden relevante Unterthemen für das Verständnis eines Hauptthemas (z. B. Webentwicklung) überlegt und dabei einzelne Programmiersprachen und ihre Syntax bewusst ausgespart. Das Grundlagentutorium sollte die Informatik aus einer abstrakten Sicht erklären und sich nicht nur auf die Programmierung beschränken. Für jeden Termin wurde eine Präsentation mit den Unterthemen und Checkerfragen erstellt und den Teilnehmern einige Tage vor dem Tutoriumstermin über Moodle zur Verfügung gestellt. Zusätzlich wurde pro Termin ein Forum in Moodle eingerichtet, in dem vorab Fragen gestellt werden konnten.

Wie erwähnt, planen wir vertiefende Ergänzungen einzelner Inhalte in Form von Expertentagen. Für das Thema “Betriebssysteme & Hardware” entschieden wir uns aufgrund des hohen Interesses am Thema. Benjamin Binder als Experte und Lehrender auf diesem Gebiet erkundete mit den Studierenden das Innenleben eines Computers. Ein weiteres Thema, für das wir einen Expertentag planten, war die App-Entwicklung. Hierfür fragten wir Benjamin Kramser, ehemaliger MM-Absolvent und Frontend Engineer bei der Steuerbot GmbH, der den Weg “vom Code bis in den App Store” aufzeigte und von seiner Arbeit als App-Entwickler berichtete.

Themengebiete

Folgende Themengebiete wurden für das Tutorium festgelegt. Die Vorstellung der einzelnen Themenblöcke inkl. Unterthemen wurde auf die verschiedenen Termine verteilt.

  1. Termin “Kennenlernen”: Kennenlernen als Gruppe, Erwartungen einholen, Organisatorisches klären, Themen und Termine vorstellen
  2. Termin “Softwareentwicklung in der Praxis”: Wie arbeitet ein:e Softwareentwickler:in? Erklärung von Git und Vorstellung nützlicher Tools
  3. Termin “Betriebssysteme & Hardware”: Expertentag mit Benjamin Binder rund um das Thema Betriebssysteme und Hardware (wie sieht ein PC von innen aus?)
  4. “Softwareentwicklung”: Vorstellung der verschiedenen Bereiche der Softwareentwicklung, die verwendeten Programmiersprachen, Debugging & Testing
  5. “Web Development”: Unterschied Front- und Backend sowie dessen Basiskonzepte (API, Kommunikation Client – Server, Datenbanken)
  6. “App Development”: Expertentag mit Benjamin Kramser (Steuerbot GmbH) mit dem Thema “vom Code bis in den App Store – aus dem Alltag eines App-Entwicklers”
  7. “Rechnernetze”: Grundlagen wie Topologien, Adressierung, Subnetting & Co.
  8. “Cloud + Security”: Was ist die Cloud und welche Vorteile bringt sie mit? Außerdem Sicherheitskonzepte, Angriffe und Hands-On Übungen 

Durchführung

Das erste von acht Tutorien startete Anfang Dezember, die weiteren Termine folgten in einem ein- bis zweiwöchigen Rhythmus. Es haben sich für das Tutorium ausschließlich weibliche Studierende aus allen drei Semestern gemeldet und schlussendlich daran teilgenommen. Das Tutorium war von Anfang an jedoch bewusst an alle Studierende gerichtet.

Erstes Kennenlernen

Zu Beginn des Tutoriums gab es ein kleines Kennenlernen mit Tee und Lebkuchen. Wir wollten die Erwartungen und Wünsche der einzelnen Studierenden verstehen sowie die erste Hürde als Gruppe nehmen, sodass sich alle zum ersten inhaltlichen Termin wohlfühlen konnten. Auch war es uns wichtig, uns der Gruppe vorzustellen und die Beweggründe und Motivation hinter dem zusätzlichen Angebot zu erklären. Dies war zudem eine Möglichkeit, eventuelle Missverständnisse über den Umfang oder Schwierigkeitsgrad des Tutoriums zu klären, sodass die Gruppe einen homogenen Kenntnisstand aufweist und niemand abgehängt wird oder sich langweilt.

Das Ritual von Tee und Snacks führten wir über alle Termine hinweg fort. Auch war es uns wichtig, keine klassische Sitzordnung zu wählen. Wir wollten uns bewusst vom Stil der Vorlesungen abheben und eine möglichst angenehme und lockere Atmosphäre schaffen. Dazu gehörte auch das Tragen von bequemer Kleidung, Small-Talk vor und nach dem Tutorium sowie das direkte Reinrufen von Fragen und Anmerkungen ohne Handzeichen. Auch machten wir allen zu Beginn des Tutoriums klar, dass wir selbst Vieles auch nicht wissen und das (gemeinsame) Herausfinden von Lösungen ein ganz normaler Vorgang im Informatik-Alltag ist. Uns war es jederzeit wichtig, direkt auf Augenhöhe zu kommunizieren und die Barriere zwischen uns als Tutoren und den Studierenden so klein wie möglich zu halten. 

Mindset

Für uns war es außerdem von hoher Relevanz, neben fachlichen Erklärungen auch festgefahrene Glaubenssätze aufzulösen und kleine Erfolge zu feiern, um das richtige Mindset zu fördern. Wir teilten unsere Erfahrungen und Erkenntnisse mit den Studierenden, zum Beispiel über die Anforderungen an Programmierer:innen und Designer:innen sowie den Arbeitsalltag in crossfunktionalen Teams. Dabei betonten wir, wie wichtig es ist, den abstrakten Blick zu wahren, mit Rückschlägen umzugehen und Freude an eigenständigem Lernen zu haben. Unser Ziel war es, den Teilnehmerinnen Perspektiven über das Studium heraus für die Arbeitswelt aufzuzeigen und Ängste und Druck zu reduzieren. Dies half auch eigenen Fähigkeiten realistischer einschätzen und neues Selbstbewusstsein schöpfen zu können.

Feedback & Wirkung 

Beobachtungen

Während des Tutoriums beteiligten sich die Studierenden sehr aktiv, jedoch gab es kaum Interaktion in Moodle. Weder das Angebot, Fragen im Forum zu stellen, noch die angebotene Sprechstunde wurden genutzt. Keine der Teilnehmerinnen kontaktierte uns außerhalb des Tutoriums. Da es während des Tutoriums einen regen Austausch gab, war ein weiterer Austausch wohl nicht notwendig.

Zudem haben wir auch noch eine weitere Beobachtung gemacht, die, wie sich im finalen Austausch mit Tobias Jordine, Benjamin Binder und Walter Kriha herausstellte, so noch nicht gemacht wurde. Wir haben die Teilnehmerinnen des Tutoriums als sehr fleißig und begeistert an den Themen im Studium wahrgenommen. Bei Gesprächen darüber, wie Prüfungen liefen oder Prüfungsergebnisse ausgefallen sind, klang alles sehr positiv und unproblematisch. Und dennoch sind es genau diese Personen, die am Grundlagentutorium teilgenommen haben. Eine unsichtbare ruhige Gruppe, die kaum Fragen stellt, nicht als klassische Problemfälle wahrgenommen wird und (sehr) gute Noten schreibt. Eine Gruppe, bei der niemand merkt, wie viel Unsicherheit in ihren Köpfen herrscht und dass über einen Studienabbruch nachgedacht wird. Das Ganze findet im Inneren dieser Personen statt und kann nicht anhand irgendwelcher äußeren Kriterien gemessen werden. Das ist sicher auch ein Grund dafür, weshalb diese Gruppe bisher bei Analysen über Studienabgänger:innen kaum bis gar nicht beachtet wurde.

Studie 3: Quantitative Umfrage

Um die oben aufgestellten Hypothesen H5 – H8 zu validieren, führten wir am Ende des Tutoriums eine weitere Umfrage durch. Dabei ergaben sich folgende Ergebnisse:

H5: Studierende, die am Tutorium teilgenommen haben, fühlen sich sicherer mit den Buzzwords und den Zusammenhängen der Informatik.

→ Diese Hypothese konnte bestätigt werden. Alle Umfrageteilnehmerinnen haben der Aussage klar zugestimmt.

H6: Studierende, die das Tutorium besucht haben, fühlen sich besser vorbereitet als / vom Kenntnisstand aufgeholt zu den anderen Studierenden im Semester als Studierende, die kein Tutorium besuchen.

→ Hypothese 6 konnte im Rahmen der dritten Studie ebenfalls bestärkt werden. 80% der Antworten sind bejahend zu werten.

H7: Durch das Grundlagentutorium konnten grundlegende Wissenslücken für Studierende, die das Tutorium besucht haben, geschlossen werden.

→ 100% der Teilnehmerinnen stimmten dieser Hypothese zu. 

H8: Es macht für die Studierenden einen Unterschied, ob solch ein Tutorium von Studierenden angeboten wird, die mit ihrer Lebensrealität näher an den Studienbeginnern sind oder von Dozenten mit viel Erfahrung.

→ Zu dieser Hypothese konnten wir neben dem quantitativen Ergebnis von 100%iger Zustimmung auch noch detailliertere Erkenntnisse gewinnen. Als Begründung warum solche ein Angebot von Studierenden angeboten werden sollte, wurde unter Anderem die Nähe zum Studium und dessen Inhalte genannt: Studentin 1: “Bei Dozenten habe ich oft das Gefühl, das sie nicht (mehr) wissen wie man sich als Anfänger fühlt und welche Probleme man zu Beginn hat. Bei euch ist das alles noch viel präsenter und ihr könnt das besser nachvollziehen. Außerdem ist der Altersunterschied ja nicht so groß, was für mich dafür sorgt, dass ich mich wohler fühle.” oder Studentin 2: “Da Dozenten die Schwierigkeiten, die man als kompletter Neuling in diesem Themengebiet hat, oft nicht verstehen/ nachvollziehen können. Fragen, die man stellt [werden] oft falsch verstanden (ist mir leider so oft passiert in den Vorlesungen). Ihr dagegen habt immer genau verstanden, was ich mit meinen Fragen meine und sie kurz und verständlich beantwortet.”. Es half den Teilnehmerinnen, dass wir ähnliche Schwierigkeiten in unserem Studium hatten und sie sich somit mit ihren Problemen nicht alleine fühlen. Konkrete Meinung von Studentin 3: “Für mich persönlich war das Tutorium wichtig, damit meine Angst vorm Versagen kleiner wird und zu realisieren, dass es viele Leute gibt, die Schwierigkeiten im Studium haben. Sowas kommt nunmal besser rüber, wenn man mit Gleichgesinnten da durch geht.” und abschließend Studentin 4: “Die Atmosphäre ist besser, um ohne Ängste Fragen zu stellen.”.

Feedback und persönliche Einblicke der Studierenden

Von einigen Studentinnen haben wir außerdem noch weiteres persönliches Feedback und Dank mündlich oder per Mail erhalten. Dazu gehören Rückmeldungen wie “Das Tutorium war für mich ein Ort, wo ich mich nie dumm gefühlt habe, weil ihr uns ein Gefühl von Sicherheit gegeben habt.” oder “die Atmosphäre war super, man konnte Fragen stellen; man hat sich nicht geschämt, wenn man was nicht wusste”. Eine Studentin fragte sogar, ob sie nochmal am Tutorium teilnehmen darf, falls es erneut angeboten wird. 

Sehr hilfreich und wertvoll waren auch Verbesserungsvorschläge und Ideen. So wurde mehrfach gewünscht, das Tutorium auf zwei Stunden zu verlängern, um mehr Zeit für die Themen und unsere persönlichen Tipps und Erfahrungen zu haben. Auch gab es die Idee für regelmäßiges Feedback nach jedem Tutorium in Form einer kurzen Emoji-Umfrage, um herauszufinden, ob man alles verstanden hat oder es noch ungeklärte Fragen gibt. Ein weiterer Wunsch war es, mehr Informationen über die Folien festzuhalten, sodass Inhalte auch später eigenständig nochmal nachgearbeitet werden können.

Abschließendes Expertengespräch

Direkt im Anschluss an das Feedback der anwesenden Studierenden haben wir uns noch einmal mit Tobias Jordine, Benjamin Binder und Walter Kriha zusammengesetzt, um unsere Erfahrungen und Wahrnehmungen auszutauschen sowie die Fortführung des Projekts zu besprechen. 

Unser Projekt ging nicht nur darum, einigen Studierenden dabei zu helfen, sich mutiger mit dem Themengebiet der Informatik auseinanderzusetzen, sondern auch darum, eine bisher unentdeckte Gruppe zu identifizieren. Diese Gruppe besteht aus stillen, fleißigen und guten Studierenden, die jedoch unsicher und ängstlich sind. Bei ihnen besteht die Gefahr, dass ein Studienabbruch unvorhergesehen geschieht und nicht nachvollziehbar ist, da äußere Signale fehlen und ihre innere Welt nicht sichtbar gemacht oder beobachtet werden kann. Im Gespräch wurde viel reflektiert und darüber nachgedacht, wie diesen Personen geholfen werden könnte.

Gemeinsam haben wir uns auch mit der Frage beschäftigt, wie man mit solchen “Snowflake”-Lösungen wie unser Tutorium umgehen soll, die im Hochschul- und Universitätskontext nicht universal umsetzbar sind. Dabei handelt es sich um Lösungen, die speziell auf die Bedürfnisse und Wünsche von Einzelpersonen zugeschnitten sind. Für uns ist es von großer Bedeutung, dass sich diese Studierenden, auch wenn es nur ein kleiner Teil der Gesamtgruppe ist, gehört und gesehen fühlen. Solch engagierte, hoch motivierte, neugierige und zuverlässige Studierende zu verlieren, empfinden wir als äußerst bedauerlich und vermeidbar, wenn man bedenkt, mit wie vergleichsweise wenig Aufwand die Gruppe unterstützt und bestärkt werden kann.

Wir haben auch darüber nachgedacht, wie man “Snowflake”-Lösungen auf eine größere Gruppe ausweiten kann. Leider konnten wir keine endgültigen allgemeinen Ergebnisse finden, aber es wurden einige Ansätze diskutiert, die ähnliche Effekte erzielen können. Dazu gehört zum Beispiel das konkrete Nachfragen, ob auch wirklich die gestellte Frage beantwortet wurde, das Einbinden von Checkerfragen und die gezielte Verkleinerung von Tutoriumsgruppen, wo dies möglich ist. Es wird versucht, diese Ansätze auszuprobieren, um zu sehen, ob sie für eine größere Gruppe von Studierenden geeignet sind.

Abschließend haben wir einstimmig beschlossen, das Tutorium im nächsten Semester erneut anzubieten. Wir haben auch diskutiert, dass nicht jeder das Tutorium leiten können sollte, sondern dass es besser wäre, Studierende auszuwählen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, ein gewisses Einfühlungsvermögen haben und bereit sind, sich verletzlich zu zeigen. So können wir sicherstellen, dass die Teilnehmer:innen bestmöglich unterstützt werden und sich in einer vertrauensvollen Umgebung wohl fühlen.

Schlussbetrachtung

Insgesamt sind wir sehr zufrieden mit dem Projektverlauf und -ergebnis. Auch konnten wir selbst die einzelnen Themen vertiefen und haben ein erstes Gefühl bekommen, wie man schwierige Inhalte verständlich aufbereiten und erklären kann. Auch wenn sich die Teilnehmerzahl über die fortlaufenden Termine reduzierte, hatten wir bei jedem Tutorium viel Spaß und es war großartig zu sehen, wie Themen und Zusammenhänge verstanden wurden und zunehmend Fragen gestellt wurden. 

Die Erfüllung der Hypothesen stützt unser persönliches Gefühl und bestätigt die Notwendigkeit sowie den Erfolg des Grundlagentutoriums. Die grundlegenden Wissenslücken konnten geschlossen und negative Gefühle abgelegt werden. Die positiven Rückmeldungen und persönlichen Geschichten der Studierenden haben uns sehr gefreut. Neben den fachlichen AHA-Momenten macht es uns besonders zufrieden, dass auch Mindset-Änderungen bei den Studierenden stattfanden. Wir hoffen, dass sie zukünftig selbstbewusst neue Aufgaben annehmen können und ihre Leistung nicht nur an dem Endergebnis messen.

Der Wunsch, damals gerne selbst solch ein Angebot gehabt zu haben, um unseren Wissenslücken und Unsicherheiten im Studium zu begegnen, war ein großer Motivationsgrund für uns. Aus eigenen Erfahrungen wissen wir, wie wichtig solch eine Unterstützung für den weiteren akademischen und beruflichen Werdegang sein kann. Diese Gruppe an Studierenden aufzufangen und neuen Mut zu geben, kann sehr prägend und wegweisend sein, weshalb es uns eine Herzensangelegenheit ist, uns auch weiterhin dafür einzusetzen.

Reflektion 

Abschließend möchten wir noch einmal einen kritischen Blick auf das Projekt werfen und reflektieren, ob das Projekt seinen gewünschten Effekt erzielen konnte. 

Der Rückmeldung nach war das Tutorium ein sicherer Raum, um Fragen und Unklarheiten zu adressieren. Rückblickend war es sicher wichtig, uns von Anfang an sehr ehrlich und verletzlich zu zeigen und immer wieder zu betonen, dass auch wir Vieles selbst nicht wissen und uns auch fachlich auf die Tutorien vorbereiten mussten. Wissenslücken haben wir immer gemeinsam als Team erarbeitet. Wir wollten den Studentinnen zeigen, dass sie nicht alleine in ihrer Situation sind und Nichtwissen ganz normal ist. Auch wenn es im Studium oft nicht so wirkt und man von dem Wissen und der Erfahrung der Professor:innen und Kommilitonen schnell eingeschüchtert wird, es wird nie verlangt alles zu wissen oder zu können. In der sich schnell verändernden Welt der Informatik ist es viel wichtiger, eigeninitiativ, motiviert und neugierig zu bleiben und die groben Konzepte zu verstehen. Wir haben schnell gemerkt, dass dieser Gedanke durch den Studienalltag bisher zu kurz kam und den Studierenden der Bezug zur Praxis und damit die realitätsnahe Einordnung ihrer Fähigkeiten und Stärken gefehlt hat. Des Weiteren war es uns sehr wichtig wirklich alle offenen Fragen zu beantworten. Dazu haben wir auch gezielt nachgefragt, ob wir ihre Frage richtig verstanden haben und bewusst Zeit zum Nachdenken gelassen. Beides war rückblickend sehr wichtig und sollte so fortgeführt werden.

Allgemein hatten viele der Teilnehmerinnen ein geringes Selbstbewusstsein bezüglich ihrer Fähigkeiten und Wissen in der Informatik. Auch die Tatsache, dass ausschließlich weibliche Studierende am Tutorium teilgenommen haben, bestätigt die Erkenntnisse aus dem Theorieteil im Rahmen unseres Projektes. Umso wichtiger ist es uns daher, Frauen in der Informatik zu stärken und zu ermutigen. Ihre hohe Leistungs- und Lernbereitschaft sowie ihr Interesse sollten nicht durch Ängste und fehlendem Selbstbewusstsein überschattet werden und sie zurückhalten. Unsere Geschichte und die Tatsache, dass wir, als eine von ihnen, nun erfolgreich im Studium und Beruf stehen, hat ihnen eine neue Perspektive aufgezeigt. Weibliche Vorbilder weiterhin im Studiengang sichtbar zu machen, halten wir daher als essentiell wichtig.

Auf organisatorischer Ebene hatten wir zu Beginn des Tutoriums kleine Probleme mit den Moodle-Foren. Die von uns erstellten Foren zu jedem Termin/Thema werden von uns und den Teilnehmerinnen nicht automatisch abonniert. Diese Default-Einstellung war uns nicht bewusst. Es führte anfangs dazu, dass wir Nachrichten von Teilnehmerinnen übersehen hatten und zu unseren Nachrichten keine E-Mail Benachrichtigung versendet wurde. Diese Hürde wurde jedoch schnellstmöglich behoben und alle Foren auf “verbindliches Abonnieren” umgestellt. 

Grundsätzlich eignet sich Moodle als Plattform zur Kommunikation und Informationsaustausch gut für unsere Zwecke, da an der HdM jeder Studierende bereits damit gearbeitet hat. Wie oben erwähnt, nahm die Teilnehmerzahl im Verlauf des Tutoriums ab. Die Gründe waren dabei unterschiedlicher, zeitlicher Natur. Wir halten es für wichtig, das kommende Tutorium nicht mehr in der vorlesungsfreien Zeit abzuhalten und das Abmelden bei Nichterscheinen nochmals deutlicher zu kommunizieren und einzufordern. Es war schade, dass wir Studierenden aufgrund voller Teilnehmerzahl absagen mussten, ein paar wenige, angenommene Teilnehmer dann aber ab dem 2. Termin nicht mehr erschienen sind.

Ausblick: Weiterführung des Projekts

Grundsätzlich streben wir an, das Grundlagentutorium im kommenden Semester erneut anzubieten. Da man im folgenden Semester direkt zu Semesterbeginn mit der Durchführung starten kann, wird es zudem möglich sein, alle Tutorien innerhalb der Vorlesungszeit abzuhalten. Die Konzeption des jetzigen Semesters wird dabei größtenteils übernommen und mit dem Feedback der Studierende und unseren Learnings verbessert bzw. angepasst. Je nach Interesse der Studierenden wird auch der terminliche Rahmen und Teilnehmerzahl entsprechend neu geplant. Über eine Anwesenheitspflicht und eine ECTS-Vergütung für die Tutoren wird nachgedacht.

Leider wird Kim kommendes Semester auf Grund ihrer Masterarbeit nicht mitwirken können. Erfreulicherweise hat sich jedoch die Studentin bereit erklärt, Tamara zu unterstützen, durch die dieses Angebot inspiriert wurde. Wir sind begeistert, dass wir bei ihr so viel Selbstvertrauen und Mut geweckt haben und freuen uns, mit ihr das Grundlagentutorium weiter zu gestalten.

Abschließend möchten wir uns nochmal bei allen Teilnehmerinnen für ihre Offenheit, ihr Vertrauen und ihre Mitarbeit bedanken, die für uns das Projekt erst richtig wertvoll gemacht haben. Ihr seid alle wirklich klasse und wir sind uns sicher, dass ihr euer Studium und Berufsleben rocken werdet!

Quellen

[1] Schwill, Andreas; Fundamentale Ideen der Informatik, Fachbereich Informatik, Universität Oldenburg, http://informatikdidaktik.de/Forschung/Schriften/ZDM.pdf

[2] ‘Nur’ Geschmackssache? : Der Umgang mit kreativen Leistungen im Musik- und Kunstunterricht (2020),  Schwarzbauer,Michaela und Steinhauser, Katharina und Friedl, Juliane, LIT, Wien 

[3] Levin, A. (2005). Lernen durch Fragen. Wirkung von strukturierenden Hilfen auf das Generieren von Studierendenfragen als begleitende Lernstrategie. In D.H. Rost (Hrsg.): Reihe Pädagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie, Band 48, Münster: Waxmann.

[4] Schinzel, B., Kleinn, K., Wegerle, A. et al. Das Studium der Informatik: Studiensituation von Studentinnen und Studenten Ziel ist die Stärkung des Selbstbewußtseins von Frauen in der Informatik. Informatik-Spektrum 22, 13–23 (1999). https://doi.org/10.1007/s002870050120


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Tamara Hezel

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