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Digitaler Nachlass – Was bleibt zurück, wenn wir gehen?

Mike Buchhammer, Tamara Hezel

Die Digitalisierung hat unser Leben in den letzten Jahren stark geprägt. Allein in Deutschland sind bereits 87% aller Menschen ab zehn Jahren online [1]. Wir teilen unser Leben auf sozialen Netzwerken, nutzen Online-Banking und speichern unsere wertvollen Erinnerungen in der Cloud. Doch was geschieht mit all unseren digitalen Gütern, sobald wir nicht mehr da sind? Heutzutage ist unser digitaler Nachlass genauso wichtig wie unsere materiellen Besitztümer. Doch das ist vielen nicht bewusst, weshalb sich viel zu wenig Menschen mit ihrem digitalen Erbe auseinandersetzen und Vorkehrungen treffen. In diesem Blogeintrag beschäftigen wir uns mit der Frage, wie mit dem digitalen Nachlass umgegangen werden kann und welche Vorkehrungen bereits zu Lebzeiten getroffen werden können, um die Verwaltung für Hinterbliebene und Erben zu erleichtern. Dabei werden Fragestellungen zur digitalen Hinterlassenschaft einer Person aufgeworfen und Herausforderungen in Bezug auf soziale Netzwerke beschrieben. Der Blogeintrag schließt mit einem spekulativen Blick in die Zukunft und der Frage nach einer virtuellen Existenz nach dem Tod.

Definition & erste Fragestellungen

Der Begriff “digitaler Nachlass” beschreibt keine erbrechtliche Sonderkategorie, sondern bezieht sich auf die gesamte digitale Hinterlassenschaft einer Person. Dazu gehören u.A. [2] [3]:

  • Software (z.B. installierte Programme und Softwarelizenzen)
  • Lokal gespeicherte Dokumente, Bilder, Musik, Videos, HTML-Files
  • Dateien in Cloud-Diensten
  • Digitale Güter in Form von elektronischen Büchern und heruntergeladenen Musikdateien
  • Virtuelles Geld und Geldbörsen mit Guthaben auf elektronischen Plattformen (z.B. Kryptowährung, Guthaben bei PayPal)
  • Profile in sozialen Netzwerken (z.B. Facebook, Instagram etc.) inklusive der hinterlassenen Daten
  • Virtuelle Inhalte von Spielkonten (z.B. Guthaben in Fortnite)
  • Persönliche Konten mit eigenen Daten (z. B. Konten bei Online-Banken und digitalen Bezahldiensten, E-Mail-Konten, Blogs, Urheberrechte, Rechte an Webseiten und Domainnamen, eigener Online-Handel, YouTube-Accounts, etc.)
  • Bestehende kostenpflichtige Vertragsbeziehungen mit Online-Dienstanbietern (z.B. Netflix, Amazon, etc.) uvm.

Gesetzliche Lage

Grundsätzlich werden alle digitalen Nachlassgegenstände von den Erben, wenn vom Erblasser nicht unterbunden, gemäß den allgemeinen erbrechtlichen Gesetzen übernommen. Dabei sollte jedoch beachtet werden, dass sich nicht alle erworbenen digitalen Güter, wie z.B. E-Books oder Musikdateien, vererben lassen. Dies steht in Verbindung mit der allgemeinen Geschäfts- oder Nutzungsbedingungen des Anbieters. Dort wird dem Nutzer meistens nur ein einfaches Nutzungsrecht gewährt, welches sich nicht übertragen lässt. Zudem wird oft explizit erwähnt, dass der Nutzer zu keinem Eigentümer wird. Dies hat zur Folge, dass sich diese digitalen Güter nicht vererben lassen [1].

Bei Online-Vertragsbeziehungen, wie z.B. einem Netflix-Abonnement, übernehmen die Erben dieselben Rechte und Pflichten wie der Verstorbene vor ihnen. Dies bedeutet, dass kostenpflichtige Verträge oder Abos weiterlaufen und nun vom Erben bezahlt werden müssen. Der Erbe kann nun entscheiden, wie mit dem Vertrag umzugehen ist. 

Und was passiert, wenn die Accounts der verstorbenen Person nicht bekannt sind oder Passwörter dazu fehlen?

Ist es dem Erben nicht möglich, Zugriff zu den vererbten Inhalten zu erlangen, wird es schwierig. Besonders, wenn die Accounts erst gar nicht bekannt sind, stellen sich viele Fragen: Erreichen das E-Mail-Postfach unbemerkt weiterhin Gutscheine von Modegeschäften und Glückwünsche zum Geburtstag? Und was passiert mit den Spuren im Netz, die nicht einfach wieder aus einer Datenbank gelöscht werden können? Es geht um digitale Inhalte, die sich nicht – vergleichbar mit dem Tagebuch – ausschließlich zu Hause auf der Festplatte oder einem Datenträger befinden, sondern auf einem oder mehreren fremden Servern. Cookies, diverse Token, gespeicherte IP-Adressen, verlinkte Bilder, E-Mail-Adressen auf Spam-Listen – ein spurloses Ableben scheint heutzutage gar nicht mehr möglich zu sein.

Sozialen Medien & Herausforderungen

Im Bereich der sozialen Medien besitzen die Erben die Möglichkeit, den Blog, die Social-Media-Accounts oder die Webseite des Verstorbenen weiterzuführen. Hierbei sollte nur beachtet werden, dass die Erben darauf hinweisen müssen, dass der frühere Nutzer verstorben ist und das Konto nun von den Erben geführt wird. Dies kann durch eine Änderung des Benutzernamens oder durch eine Anmerkung auf der Startseite passieren [2]. 

Was einfach klingt, ist es in der Realität jedoch oft nicht. Auskunft, Besitzrecht vs. Persönlichkeitsrecht, Datenschutz und Fernmeldegeheimnis: Die Ansprüche beteiligter Personen und Provider sind vielschichtiger als vielleicht erstmals angenommen. Im Fall einer möglicherweise durch Suizid verstorbenen minderjährigen Tochter erhielten die Eltern erst nach einer langen Auseinandersetzung mit Facebook vor dem Bundesgerichtshof Zugriff zu ihrem Profil. Facebook berief sich dabei auf den Datenschutz und auf das Fernmeldegeheimnis, also auf die Rechte der anderen Nutzer, die mit der Tochter kommuniziert hatten [8, 9]. Für solche Fälle, in denen der digitale Nachlass vom Erblasser nicht eindeutig geregelt ist, gibt es in der Regel keine einfache rechtliche Lösung.

Beim Thema soziale Medien stellt sich für die Angehörigen jedoch noch eine ganz andere Frage: Was passiert mit den Urlaubsbildern oder personalisierten Inhalten der verstorbenen Person? Soll die Erinnerung in Form eines Profils und damit einer virtuellen Form des Verstorbenen erhalten bleiben? Wie soll die Außenwirkung des Toten im Internet sein? Was charakterisiert ihn, wenn nur noch eine virtuelle Hülle übrig bleibt? Regelungen über solche Fragen bleiben häufig vor dem Todesfall unbeantwortet. In Zeiten von TikTok, Instagram & Co. werden diese Fragen jedoch relevanter denn je: Denn es geht nicht mehr nur um Fotoalben und analoge Medien – mit jedem Klick erweitert sich das Netz aus Informationen und Daten, die plötzlich verwaltet werden müssen.

Um ihren Nutzern den digitalen Nachlass zu erleichtern, bieten einige soziale Medien daher verschiedene Möglichkeiten, diesen vorzeitig zu regeln. Diese sehen wie folgt aus [4]:

  • Facebook
    • Bei den Nutzereinstellungen kann ein Nachlasskontakt für die Regelung des digitalen Erbes eintragen sowie eingestellt werden, ob das Profil nach dem Tod gelöscht oder in den „Gedenkzustand“ versetzt werden soll [7]. 
    • Zusätzlich kann der Gedenkzustand auch durch die Vorlage der Sterbeurkunde veranlasst werden.
    • Im Gedenkzustand kann das Profil nicht mehr geändert werden, dafür können Facebook-Freunde je nach Privatsphäre-Einstellungen Erinnerungen mit dem Verstorbenen teilen.
    • Außerdem können unmittelbare Familienangehörige die Löschung des Facebook-Accounts beantragen. Hierfür müssen jedoch entsprechende Dokumente vorgelegt werden, um den Todesfall und das Erbrecht vorzuweisen.
  • Google
    • Im Kontoinaktivitätsmanager können bis zu 10 Personen angegeben werden, die bei längerer Inaktivität des Kontos benachrichtigt werden und auf das Konto zugreifen dürfen. 
    • Alternativ kann in diesem Manager auch die Löschung des Kontos eingestellt werden.
  • Twitter
    • Das Ableben kann vom Erbe des digitalen Nachlasses oder von unmittelbaren Familienangehörigen angezeigt werden. Anschließend wird das Twitter-Konto inaktiv gehalten und innerhalb eines Monats gelöscht. Auch hierfür müssen entsprechende Dokumente vorgelegt werden, um den Tod zu legitimieren.
  • Apple
    • Apple Accounts lassen sich nicht übertragen. Mit dem Tod endet auch das Vertragsverhältnis zwischen dem Erblasser und Apple. Dies führt dazu, dass die Erben keinen Anspruch auf das Konto haben.
    • Apple bietet jedoch die Möglichkeit, in den Einstellungen einen Nachlasskontakt zu hinterlassen, welcher im Todesfall auf die Daten in der iCloud zugreifen kann [1].
    • Mit der Sterbeurkunde können die Inhalte sowie das Konto selbst gelöscht werden [4].
  • Instagram
    • Über ein Formular kann das Konto in den Gedenkzustand versetzt oder komplett gelöscht werden. Hierfür wird die Sterbeurkunde oder die Todesanzeige benötigt.
  • WhatsApp, eBay & Co.
    • Hier gibt es keine explizite Nachlassregelung im Nutzungsvertrag.

Falls es innerhalb einer Plattform keine Regelungen für den Nachlass gibt, können Sie als Familienangehöriger oder Erbe immer den Dienst kontaktieren und einen amtlichen Nachweis über den Tod des Erblassers und der Erbschaft vorlegen, um Zugang zu dessen Konto zu beantragen. Dennoch ist wichtig zu erwähnen, dass sich die Möglichkeiten der digitalen Nachlassverwaltung stetig ändern. Aufgrund dessen sollte man stets die neuesten Richtlinien und AGBs von den Online-Diensten, die man nutzt, anschauen, damit man stets auf der sicheren Seite ist [3]. Bei mehreren hundert Accounts und Konten, wird diese Arbeit schnell unüberschaubar. Ganz zu schweigen von dem Aufwand, der dahinter steht, alle Konten und Profile zu verwalten oder ggf. zu deaktivieren. Stellt man sich dann noch vor, dass die verstorbene Person keinen Passwörter-Manager besitzt, wichtige Dokumente auf mehreren Festplatten unsortiert verstreut sind oder im schlimmsten Fall nicht mal den Zugang zum PC oder Handy irgendwo zugänglich gemacht hat – dann wird der digitale Nachlass meist unzumutbar für die Hinterbliebenen. Kommen dann noch Unwissen und fehlende Kenntnisse hinzu, wird es besonders schwer. Wie wird denn so eine E-Mail-Adresse abgeschaltet? Welche Firma steckt denn überhaupt dahinter? Und wie kommt man an die verschlüsselten Daten auf dem NAS-Server? Stellt man sich als Angehörige diesen Herausforderungen kann in Trauer auch eine einfache automatisierte E-Mail richtig wehtun:

“Danke, dass Sie unseren Fotoservice in Anspruch genommen haben, um Ihre liebsten Erinnerungen festzuhalten. Wir bedauern sehr, dass Sie sich nun dazu entschieden haben, uns zu verlassen. Wir hoffen, wir können Sie in Zukunft wieder begrüßen, um zukünftige tolle Momente gemeinsam zu erleben und festzuhalten.”

Automatisierte Abschiedsmail von der FotoService GmbH an Manfred M., 52 Jahre, vor Kurzem verstorben. Seine Frau hat das Konto bei der FotoService GmbH für ihn geschlossen.

Empfehlungen für…

Um einen möglichst reibungslosen und einfachen Übergang für spätere Erben zu schaffen, werden die folgenden Empfehlungen zum digitalen Nachlass sowohl für Erblasser als auch für Erben gegeben [2]. Wichtig dabei ist zu erwähnen, dass dies unter anderem Empfehlungen sind, was der Einzelne zu Lebzeiten tun kann, um spätere Probleme zu vermeiden.

…den Erblasser

  1. Zu Beginn soll durch eine letztwillige Verfügung geregelt werden, was nach dem Tod mit dem digitalen Nachlass geschieht. Dies kann beispielsweise durch die Errichtung eines Testaments erfolgen. Dort lassen sich zusätzliche Bestimmungen treffen:
    1. Es können ein oder mehrere Erben für den digitalen Nachlass benannt werden.
    2. Außerdem können einzelne Erben bestimmte digitale Inhalte zugewiesen bekommen.
    3. Zusätzlich können den Erben durch Auflagen vorgeschrieben werden, wie diese im Todesfall mit den vererbten digitalen Gütern umgehen sollen (z.B. die Löschung eines Kontos).

Hierbei ist wichtig zu erwähnen, dass wenn keine Regelung bezüglich des Erbes des digitalen Nachlasses getroffen wurde, der Universalerbe automatisch den digitalen Nachlass erbt. Werden keine Regelungen getroffen, bekommt der Universalerbe das Recht über die digitalen Daten, wodurch der Verstorbene sein Recht, wie mit seinen Daten umgegangen wird, verliert. 

Des Weiteren gibt es auch Unternehmen, Anwälte, Nachlassdienstleister und Verbraucherzentralen, die eine kommerzielle Verwaltung für den digitalen Nachlass anbieten. Dies kann in Erwägung gezogen werden, wenn Hilfe benötigt wird oder die Erben weder vertrauenswürdig noch onlineaffin sind, jedoch sollte man sich davor über den genauen Leistungs- und Kostenumfang informieren [4] [5] [6]. 

  1. Zusätzlich sollten in einem Dokument oder auf einem Blatt Papier alle Zugangsdaten zu den Online-Nutzerkontos zusammengestellt und regelmäßig aktualisiert werden. Es ist dabei wichtig, in einem weiteren Dokument oder auf einem Blatt Papier festzuhalten, was im Todesfall mit diesen Daten und Konten sowie Endgeräten zu tun ist. Dabei ist essentiell, dass die Dokumente oder Blätter an einem sicheren Ort verstaut und gesichert sind und der Erbe auch von dem Ort Bescheid weiß. Passwort-Manager können bei der Sicherung der Zugangsdaten helfen. Dort lassen sich die Passwortlisten einfach exportieren und anschließend sichern. Sollten die Daten nochmals verschlüsselt werden, ist es von großer Bedeutung, dieses Passwort an den Erben weiterzugeben.

Zusätzlich besitzen Erblasser die Möglichkeit, mit ihren Dienstanbietern vertragliche Lösungen auszuhandeln, die regeln, was in einem Todesfall mit dem Konto passieren würde. Dies kann eine Löschung oder Übertragung des Nutzerkontos beinhalten. 

Ein weiterer wichtiger Punkt beim digitalen Nachlass ist die Errichtung einer Vorsorgevollmacht für den digitalen Bereich. Dies ist nur zu empfehlen, sollte man zu einem späteren Zeitpunkt aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sein, sich selbst um die Angelegenheiten kümmern zu können. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass dem Bevollmächtigten die Zugangsdaten und Anweisungen für die Konten zur Verfügung gestellt werden. Falls es keine Vorsorgevollmacht gibt, kann ein Gericht einen Betreuer stellen, der sich im vorgegebenen Rahmen um digitale Angelegenheiten kümmert, falls der Verbraucher aufgrund seiner gesundheitlichen Lage dazu nicht fähig ist. Der Betreuer handelt nur im Rahmen des vom Gericht festgelegten Aufgabenkreises, welcher den Wünschen und dem Willen des Verbrauchers entspricht. Je nach Aufgabenbereich kann dies die Einsicht, Bearbeitung und Löschung von Konten oder Daten sowie die Kündigung von Verträgen betreffen.

…den Erben

  1. Mit dem Tod gehen alle Rechte und Pflichten der digitalen Güter des Erblassers automatisch auf den Erben über, solange nichts anderes in der letztwilligen Verfügung festgelegt wurde. Dieser hat anschließend die Möglichkeit, Konten einzusehen, diese zu verwalten, Vertragsverhältnisse zu kündigen und Konten zu löschen, solange dies nicht zur Lebzeit mit dem Provider untersagt wurde. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, sich nach dem Willen des Erblassers zu richten und z.B. das Online-Konto entsprechend zu verwalten.
  2. Wie oben beschrieben, bieten die verschiedenen Anbieter unterschiedliche Möglichkeiten nach dem Tod an. Diese sind sehr unterschiedlich und können sich jederzeit ändern. Es ist daher ratsam, sich zum Zeitpunkt des Todes erneut zu informieren, um alle Möglichkeiten zu kennen.
  3. Falls die Erben ihre Rechte gegenüber einem Online-Dienstanbieter geltend machen möchten, müssen sie den Diensteanbieter über den Erbfall informieren und auf Anfrage die Legitimation vorlegen.
  4. Die Erben sollten, soweit es rechtlich möglich ist, die E-Mail-Postfächer des Verstorbenen der letzten 3-5 Jahre genauer untersuchen, um mögliche unbekannte Benutzerkonten zu identifizieren.

Kritische Fragen

Zusammenfassend sollen hier nochmal kritische Fragen aufgeworfen werden, die in Bezug auf das Thema aufkommen. Ihre Beantwortung ist dabei nicht möglich. Die Fragen sollen aber Anlass geben, das Thema zugespitzt und damit über den jetzigen Stand hinaus betrachten und zukünftige Herausforderungen erkennen zu können.  

  • Es stellt sich ganz allgemein die Frage nach dem (Nutzungs-)Recht der Daten von Personen, die keine Entscheidungs- und Handlungsfähigkeiten mehr besitzen. Laut dem 17. Artikel der DSGVO, hat jede Person Recht auf Löschung (“Recht auf Vergessenwerden”) seiner gespeicherten persönlichen Daten. In Hinblick auf dieses Recht, stellt sich die Frage, ob Unternehmen nach Vorlage einer amtlichen Sterbeurkunde nicht verpflichtet werden sollten, automatisch jegliche, persönliche Daten endgültig zu löschen, so wie auch die betroffene Person endgültig aus dem Leben verschwunden ist? Oder noch weiter gedacht: sollten Erben & Angehörige überhaupt die Möglichkeit bekommen, über die Daten des Verstorbenen zu entscheiden? Verbietet die Person nicht zur Lebzeit den Zugriff auf seine Daten (da vergessen oder plötzlicher Tod), werden diese by default an die Erben übertragen. Doch welches Recht wird den Erben eingeräumt, auf fremde Daten zuzugreifen? Entfernt der Tod jeglichen Anspruch auf Persönlichkeitsrecht und Datenschutz? Entspricht eine Whitelist-Lösung hier nicht mehr diesen Prinzipien zum Schutz und Wohl des Toten anstatt dem aktuellen Blacklist-Ansatz?
  • Was passiert, wenn ein Verstorbener seinen digitalen Nachlass für immer sperren lässt? Würde das zu einem riesigen digitalen “Friedhof” führen? Kann sowas überhaupt noch verwaltet werden?
  • Was ist, wenn eine Einsicht von Daten zu Social Media Profilen oder dem Online Banking zur Verhinderung oder Aufklärung von Straftaten o.Ä. hilfreich wäre? Man denkt an Amokläufe & Co. – Welche Rechte des Toten gelten dann? Im Zeitalter von Cyberangriffen bekommen Passwörter & Co. eine ganz andere Relevanz.
  • Könnten Unternehmen den digitalen Nachlass von Verstorbenen nutzen, um personalisierte Werbung oder Produktvorschläge an ihre Hinterbliebenen zu richten?

Blick in die Zukunft

Die vorangegangenen Texte haben sich viel damit beschäftigt, hinterlassene digitale Werte zu löschen, zu archivieren oder nicht mehr öffentlich zugänglich zu machen. Doch was wäre, wenn der Erblasser oder die Hinterbliebenen dies gar nicht möchten? In Zeiten der künstlichen Intelligenz liegt hier die Frage nahe, ob Verstorbene nicht virtuell weiterleben können. Inwiefern könnte der digitale Nachlass eines Menschen dazu genutzt werden, seine digitale Identität nach dem Tod weiterhin aktiv zu halten?

Spekulativ gesprochen könnten die über das Leben gesammelten Daten zum Training einer künstlichen Intelligenz verwendet werden, um den Toten zu erhalten: die Sprache wird aus Audiospuren von Videos und Sprachmemos der Person nachgestellt, das Gesicht aus Bildern modelliert und die Gedanken, Meinungen, Hobbies und Beziehungen durch die sozialen Medien analysiert und als KI-Modell wiedergegeben. Da kann der Kochblog der verstorbenen Tochter zum interaktiven Rezeptbuch mit Sprachausgabe der entsprechenden Stimme werden. Oder der Sprachassistent bleibt keine anthropomorphische Gestalt mehr, sondern wandelt sich zum verstorbenen Freund, mit dem man sich früher schon immer gut unterhalten konnte. Noch weiter gedacht: könnten digitale Hologramme oder Avatare in der Lage sein, den digitalen Nachlass einer Person aufrechtzuerhalten und sogar neue Erinnerungen zu schaffen?

Was sich heute noch nach Sci-Fiction anhört, könnte zukünftig Realität werden und der Roboter der verstorbenen Oma sitzt beim Weihnachtsessen genauso am Tisch wie der Rest der Familie. Der digitale Nachlass beschränkt sich vielleicht bald nicht mehr nur auf Benutzerkonten und Dateien auf Festplatten, sondern es wird die Person selbst hinterlassen, in ihrer digitalen Form.

Neben den offensichtlichen technischen Fragen stellen sich dabei natürlich auch ethische Fragen: Wenn der digitale Fingerabdruck als Grundlage zur Modellierung einer virtuellen Identität verwendet wird, ist die Erinnerung an den Toten dann nicht weniger wert? Stellt es die Gesellschaft zufriedener als der alleinige Tod selbst oder verhindert es nicht den Trauerprozess, da die hinterlassene virtuelle Hülle nicht mehr als ein unvollständige Version von sich selbst ist? Wird die virtuelle Hülle als Flucht aus der Realität des Todes genutzt?

Schlussfolgerung

Insgesamt muss man sich bewusst machen, dass der Nachlass sich nicht mehr nur auf analoge Medien und Werte beschränkt. Der digitale Mensch hinterlässt nach seinem Leben eine Vielzahl an komplexen Daten. Es bleiben nicht nur ein paar Fotoalben übrig, sondern ein virtuelles Abbild des Verstorbenen mit all seinen Accounts, Inhalten und Meinungen, die er jemals öffentlich geäußert hatte.

Dass diese Komplexität und Datenmenge zukünftig weiter zunehmen wird, ist unumstritten. Da Personen auch immer früher in ihrem Leben digitale Medien nutzen, wird man schon als Kind oder Teenager Inhalte und Konten erzeugen, die irgendwann als digitaler Nachlass gelten. Sich dieser Tatsache bewusst zu werden und sich darum genauso sorgfältig zu kümmern wie nicht-digitale Werte, ist entscheidend, um den eigenen Willen einzufordern und Hinterbliebenen die Bürde einfacher zu machen.

Eine Sache gilt aber jetzt schon als sicher: der Tod bringt keine automatische digitale Anonymität mit sich. Die virtuelle Identität wird auch nach dem Tod weiterhin bestehen, wenn auch in unterschiedlichem Umfang und Zugriff. Diesen Nachlass nicht zu regeln, erscheint als die schlechteste Option von allen.

Für die aufgeführten Empfehlungen und Fakten wird keine Haftung für Vollständigkeit und juristische Gültigkeit übernommen.

Literaturverzeichnis

    [1]Stiftung Warentest, „Facebook, Google und der Tod: So regeln Sie Ihren digitalen Nach­lass,“ Stiftung Warentest, 22. Dezember 2021. [Online]. Available: https://www.test.de/Digitaler-Nachlass-Wie-Sie-Ihren-Erben-das-Leben-leichter-machen-5028585-0/. [Zugriff am 6 Juli 2023].
    [2]M. Kubis, M. Naczinsky, A. Selzer, T. Sperlich, S. Steiner und U. Waldmann, Der digitale Nachlass, Darmstadt: Fraunhofer SIT, 2019.
    [3]ERGO Direkt AG, „Digitaler Nachlass: Was passiert nach dem Tod mit meinen Daten?,“ ERGO Direkt AG, [Online]. Available: https://www.ergo.de/de/Ratgeber/todesfall/digitaler-nachlass. [Zugriff am 6 Juli 2023].
    [4]Allianz Deutschland AG, „Digitalen Nachlass regeln,“ Allianz Deutschland AG, 18. April 2023. [Online]. Available: https://www.allianz.de/recht-und-eigentum/rechtsschutzversicherung/digitalen-nachlass-regeln/. [Zugriff am 6 Juli 2023].
    [5]S.-H. Hahn, „Abos und Accounts nach dem Tod: Wie Sie den digitalen Nachlass regeln,“ Zweites Deutsches Fernsehen, 22. Dezember 2022. [Online]. Available: https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/digitaler-nachlass-internet-100.html. [Zugriff am 6 Juli 2023].
    [6]Verbraucherzentrale NRW e.V., „Digitale Vorsorge, digitaler Nachlass: Was passiert mit meinen Daten?,“ Verbraucherzentrale NRW e.V., 2 Februar 2022. [Online]. Available: https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/digitale-welt/datenschutz/digitale-vorsorge-digitaler-nachlass-was-passiert-mit-meinen-daten-12002. [Zugriff am 6 Juli 2023].
    [7]Norddeutscher Rundfunk, „Digitaler Nachlass: Rechtzeitig mit Vollmacht vorsorgen,“ Norddeutscher Rundfunk, 13. März 2023. [Online]. Available: https://www.ndr.de/ratgeber/verbraucher/Digitaler-Nachlass-Rechtzeitig-mit-Vollmacht-vorsorgen,digitaleserbe107.html. [Zugriff am 7 Juli 2023].
    [8]Bundesgerichtshof, „Vertrag über ein Benutzerkonto bei einem sozialen Netzwerk ist vererbbar,“ 12. Juli 2018. [Online]. Available: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=pm&Datum=2018&Sort=3&nr=85390&pos=0&anz=115. [Zugriff am 18 Juli 2023].
    [9]P. Fiebig, „Wenn Tote auf Facebook sind,“ Deutschlandradio, 20. Juni 2018. [Online]. Available: https://www.deutschlandfunk.de/digitaler-nachlass-wenn-tote-auf-facebook-sind-100.html. [Zugriff am 20 Juli 2018].

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